Keine Macht den Dogmen
Gestern am Potsdamer Platz: "Keine Macht den Dogmen" - Protest gegen die Rede eines dogmatischen Religionsführers im deutschen Parlament
Anders, als manche Medien berichteten, beteiligten sich nicht nur die "linksalternative Szene und Homosexuellengruppen" (n-tv) an der Demo
"Kardinal Ratzinger ist ein Kinderschänderschützer" steht auf dem Plakat
Abschlusskundgebung
Während der Abschlusskundgebung ging plötzlich die Polizei martialisch mit Helmen ausgerüstet in die friedliche Menge.
"Keine Macht den Dogmen" - Der Demo-Truck diente in der Nacht noch als Open-Air Discowagen.
"Mißbrauch hat System"
Bis vorgestern prangte an einer Hauswand in der Hannoverschen Straße, nahe der Katholischen Akademie, die der Papst besuchen wird, der Spruch, "Mißbrauch hat System". Vor etwa einem Jahr, zum Höhepunkt des Mißbrauchsskandals in der katholischen Kirche, war er dort hingepinselt worden.
Vorgestern nun verschweißten Polizisten im Rahmen der allgemeinen Sicherheitsparanoia in der Straße Gullideckel, verplombten Dachböden, durchsuchten Keller - und überpinselten den missliebigen Spruch. Allerdings wurde ein Kommando der Berliner Polizei mit der Säuberung beauftragt, das offenbar entweder in handwerklichen Dingen nicht besonders bewandert oder vom Zensurbefehl nicht sehr erbaut war. Jedenfalls überpinselten sie die schwarzen Buchstaben so linientreu mit heller weißer Farbe, dass der Schriftzug danach immer noch - vielleicht sogar erst recht - sichtbar war.
Einem diensteifrigen Vorgesetzten gefiel das offenbar nicht. Die Brigade musste nacharbeiten und nun sind an der Wand lauter weiße Rechtecke zu sehen.
Die Angst der Staatsmacht vor Parolen an der Wand erinnert doch stark an die Endzeit der DDR. Da kann ich mich eigentlich nur dem Aufruf der
"Not-Welcome"-Demo anschließen, die am Donnerstag, 22. September, 16:00 Uhr am Potsdamer Platz startet.
Wahlhelfer
Ausschilderungs-Probe in der KücheVor einigen Wochen wurde ich gefragt, ob ich Wahlhelfer werden wolle. Die Chefin suchte Freiwillige - sonst hätte sie jemanden bestimmen müssen.
So kam es, dass ich Vorsteher eines Wahllokals in der Boxhagener Straße wurde. Die ursprünglich als überschaubar angenommene Aufgabe entpuppte sich als aufwändiger als gedacht. Dies wurde mir spätestens am Sonnabend bei der Ausgabe der Materialien klar. Mit zwei riesigen Koffern voller Stimmzettel, Unterlagen, Flaggenschmuck und sonstiger Ausstattung, die für den Betrieb eines ordentlichen Wahllokals unerlässlich ist, stand ich im Materialkeller des Rathauses Kreuzberg und fragte mich, wie ich die schweren Koffer mit der U-Bahn nach Hause schaffen sollte...
Der Wahltag selbst begann mit dem Aufbau des Wahllokals in der Zille-Schule. Draußen zogen bei nieseligem Wetter heimkehrende Party-People vorbei, drinnen beschäftigten wir uns mit der Frage, in welche Richtung der Berliner Bär auf der Flagge schauen muss. Die Wahlhandlung begann, erste Wahlwillige betraten schon kurz nach acht Uhr den Hortraum mit den drei Kabinen. Die Flaggen hatten vor dem Spielzeugregal ihren würdigen Platz gefunden. Der Berliner Bär blickte vorschriftsmäßig nach links auf die Deutschland- und die Europafahne und registrierte zufrieden, dass der schwarze Balken der Nationalfahne ebenfalls links seinen Platz gefunden hatte.
Plötzlich störte lauter Techno-Sound diese Eintracht. Draußen hatten sich einige bunt staffierte Party-People eingefunden. Mit Konfetti in den Haaren und Bierflaschen in der Hand, so scharten sie sich um ein Lastenfahrrad, auf das Boxen montiert waren. Der Wahlvorstand nahm das achselzuckend zur Kenntnis: "is halt Friedrichshain", meinte meine stellvertretende Vorsteherin, eine Juristin. Zwei Minuten später war plötzlich Ruhe. Wir schauten besorgt aus dem Fenster. Draußen hatte sich ein nicht ganz so gut gelaunter Party-Heimkehrer der fröhlichen Gruppe genähert. Es war aus irgendeinem Grund zum Konflikt gekommen. Ich sah Fäuste fliegen, die zunächst einen der Fahrrad-Schieber trafen und dann eine junge Frau aus der fröhlichen Gruppe. Der Mieslaunige pöbelte noch etwas herum, die Anderen gingen auf Habachtstellung, ein Polizeiauto rollte heran. Zwei Beamte schauten aus dem Fenster, fuhren aber weiter. Die eben noch geohrfeigte Frau sagte, dass alles in Ordnung sei.
Etwas später steht ein Mann im Wahllokal. Ihm fällt es schwer, seinen Ausweis aus der Tasche zu fingern. Zweimal sagt er: "Wissen Sie, ich bin etwas...", eine Handbewegung deutet an, dass Alkohol im Spiel ist. Der Mann ist aber eigentlich nur motorisch etwas gehandicapt und ansonsten sehr bemüht, die Wahlhandlung ordnungsgemäß hinter sich zu bringen. Vermutlich hat er sich dafür den nüchternsten Moment des Tages extra ausgesucht. Alkohol ist grausam.
Die große Mehrzahl der Wählenden ist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt; viele haben Kinder oder zumindest Hunde. Im dunklen Flur der Schule herrscht bald eine Atmosphäre wie vor einem angesagten Club. Die Wartezeit beträgt ab etwa 12:00 Uhr mittags mindestens 10-15 Minuten und die Schlange reicht bis auf die Straße. Abgeranzte Friedrichshainis, gestylte Kids, trashige Twens, ein Fernsehstar aus der Lindenstraße, einige wenige alte Menschen - das ist das Publikum, das hier wählt.
Omas fragen immer wieder aus der Kabine heraus, wo sie denn den "Wowi" wählen können. Der Wahlvorstand erklärt ein ums andere Mal, was es mit dem Wahlgeheimnis auf sich hat...
Am Ende des Tages verlässt der letzte Wähler das Lokal gegen 18:15 Uhr. Die Zählerei beginnt. Von über 1000 abgegebenen Stimmen entfallen kaum 60 auf die CDU. Bergpartei, Überpartei und Piraten hätten in diesem bunten Wahlbezirk gute Chancen, eine Kaolition zustande zu bringen.
Bei der Zählerei fehlen uns leider am Ende einige Stimmabgabevermerke im Wählerverzeichnis. Wir zählen noch einmal, bekommen - kurz bevor uns der genervte Hausmeister aus der Schule schmeissen will - ein korrektes Ergebnis und ein weiterer Tag in der Geschichte der Demokratie geht einigermaßen ruhmreich zu Ende.
Wahlkampf II
Piratenfahrradwahlkampfkommando
(heute am Rande der Wahlveranstaltung der Linkspartei am Frankfurter Tor)
Wahlkampf
Gysi am Frankfurter TorAls einziger prominenter Bundespolitiker spricht in Wahlkampfzeiten eigentlich immer nur Gregor Gysi bei uns im Kiez. Und obwohl da vielleicht die Vermutung naheliegt, dass schnell eine gewisse Eintönigkeit aufkommt, fühlte ich mich von diesen Auftritten bisher eigentlich immer ganz gut unterhalten. Mehr noch: Teilweise erinnere ich mich genau an einzelne Passagen der Reden - auch wenn sie Jahre her sind. 1998 zum Beispiel, da sprach Gregor Gysi auf dem Boxhagener Platz. Es ging um die Privatisierung von Krankenhäusern: "Ein Krankenhaus ist doch keine Würstchenbude", argumentierte er - und erntete reichlich Applaus des Friedrichshainer Publikums.
Heute war es wieder so weit, und wieder ging es unter anderem um Krankenhäuser. Gregor Gysi sprach am Frankfurter Tor und outete sich: "Die einzige private Krankenzusatzversicherung, die ich abschließen würde, wäre die für ein Einzelzimmer im Krankenhaus. Stellen Sie sich vor, Volker Kauder, der Fraktionschef der CDU/CSU, und ich würden gleichzeitig krank und von einem bösen Arzt in ein gemeinsames Zimmer gesteckt werden. Da würde der Volker Kauder nie wieder gesund werden - und dafür möchte ich nicht die Verantwortung tragen."