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Mittwoch, Oktober 21, 2015

Denkmalschutz

Das im Grunde Sympathische am Friedrichshain - und wenn ichgroßzügig sein will, lasse ich es insgesamt für Berlin gelten - ist doch, dass alle irgendwie ihrs machen können. Mögen die neuen Nachbarn nebenan es schick finden, in vollverglaster Investorenarchitektur zu wohnen. Ich muss deshalb die tragenden Wände um mich herum nicht wegreissen, sondern kann in meiner denkmalgeschützten Wohnung in der Deckung bleiben.
Wenn ich allerdings doch einmal eine Veränderung wünsche, muss ich die amtlichen Denkmalschützer um Erlaubnis fragen. Heute war so eine Begehung. Zuerst ging es um ein Fenster. Ein Fenster, das demnächst Tür werden soll - ein neuer Eingang für ein Gewerbe. Zum Ortstermin erschien ein Denkmalschützer, der in dem Fenster, das ich als Laie vielleicht mit dem Unfachwort "schrabbelig" bezeichnet hätte, sofort ein besonders schützenswertes bauzeitliches Objekt erkannte. Je länger er das Kleinod betrachtete, um so größer wurde seine Verzückung. Aufgeregt sprang er herum und wurde von mehreren auf dem Gehweg daherrasenden Radlern fast umgefegt. Was denn nun mit dem Fenster sei, fragte einer der Anwesenden - mit anderen Worten: Ob es denn nun weg könne. "Ja ich muss mir doch erst einmal ein Bild machen, muss verstehen, was hier los ist!", antwortete der Fachmann. Je länger ich das Fenster betrachtete, desto schäbiger erschienen mir die verschiedenen Lackschichten und ich dachte: "Schäbige Fenster gibt es doch entlang der Allee hunderte. Was ist an diesem Besonders?" Doch dann hatte der Fachmann sein l gefällt und ich wurde eines Besseren belehrt. Die Verwendung von Aluminium in der Architektur, ein Material, das bis dahin nur der Rüstung und dem Flugzeugbau vorbehalten gewesen war, sei in den Fünfziger Jahren Ausdruck der bauzeitlichen Konkurrenz der Systeme zwischen der DDR und dem Westen; Die Aufteilung in drei Felder, bei denen das Mittlere das größte ist, sei stilprägend für die Sechziger Jahre gewesen. Möglicherweise fehlte aber auch einfach nur das passende Material, um die seitlichen Kippfenster ähnlich groß zu gestalten. Mir war, als hätte jemand die Dreifaltigkeit zum ersten Mal verständlich erklärt.
Gleichzeitig erinnerte ich mich an die letzte Begehung vor einem halben Jahr mit demselben Denkmalschützer. Damals ging es um neue Fenster, die der Investor Homecenter eingebaut hatte und die dem Original nicht entsprachen. Kommentar des Amtes dazu war: "Die Touristen, die im Bus die Allee entlang fahren, bemerken diesen Unterschied garantiert nicht. Die neuen Fenster können bleiben".
Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, denn die Besichtigungsgruppe näherte sich dem nächsten Objekt der Betrachtung, ein Treppenhaus in der Proskauer Straße, von dem der Eingang zu einem Hotel abzweigt. Kaum waren die letzten Stufen bewältigt, echauffierte sich schon der Denkmalamtmann: "Die Leute hier scheren sich doch wohl einen Dreck um den Denkmalschutz! Wie das hier aussieht." An dieser Stelle konnte ich nicht anders. Ich erinnerte ihn an den letzten Besuch. Damals standen wir ebenfalls vor der jetzt inkriminierten Hoteleingangstür. Damals stand vor dieser Tür sogar noch ein Sofa mit Plastepalme. Damals fand der Mann vom Amt hier alles in Ordnung. Jetzt tobte er fast: "Diese Tür muss weg!"
Ich erinnerte mich an Erzählungen alter Nachbarinnen, die noch die Polizeidienststelle im Haus kannten und wandte ein, dass hier vermutlich nie vorher Wohnraum war. Ein anwesender Bauingenieur pflichtete bei und verwies auf einen alten Verteilerkasten, der die Wand, in der die Tür steckte, als Originalbestand auswies. "Sie haben recht", rief nun der Mann vom Denkmalschutz aus, "beinahe hätte ich es übersehen: Die Tür ist Original! Sie muss unbedingt erhalten werden. Das ist eine Polizeitür." So schnell kann sich ein Blatt wenden.
Nächster Tagesordnungspunkt der Besichtigung war eine Durchfahrt, durch die die neuen Nachbarn nebenan nahezu ihre gesamten Häuser samt Inneneinrichtung und Gartenbegrünung angeliefert haben, und die durch die zahllosen LKW-Transporte mittlerweile schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wie zur Bestätigung versuchte just zu diesem Zeitpunkt ein LKW-Lenker mit seinem Umzugswagen unter der schmalen Durchfahrt sein Glück. Der Beifahrer sprang heraus und lotste. Der Denkmalschützer sprang im letzten Moment zur Seite. Ich fragte den Lenker durch die geöffnete Seitenscheibe: "Wie hoch ist Deine Karre?" "Drei Meter sechzich", war die Antwort. Das Schild wies eindeutig "3,30m" als Begrenzung aus. Der Denkmalschützer war überzeugt: "Hier bringen Sie am besten eine Stange an, und zwar am besten genau in Augenhöhe der LKW-Fahrer. Das kann ich sogar vollkommen ohne die Straßenbehörde entscheiden."
Da werden sich die fitnessorientierten neureichen neuen Nachbarn nebenan vielleicht doch wundern, wenn sie demnächst mit ihren Giftdieseln und dem Fahrrad auf dem Dach an der Stange hängen bleiben...