Suche in diesem Blog:
Google Custom Seearch

Montag, September 19, 2011

Wahlhelfer

Ausschilderungs-Probe in der Küche

Vor einigen Wochen wurde ich gefragt, ob ich Wahlhelfer werden wolle. Die Chefin suchte Freiwillige - sonst hätte sie jemanden bestimmen müssen.
So kam es, dass ich Vorsteher eines Wahllokals in der Boxhagener Straße wurde. Die ursprünglich als überschaubar angenommene Aufgabe entpuppte sich als aufwändiger als gedacht. Dies wurde mir spätestens am Sonnabend bei der Ausgabe der Materialien klar. Mit zwei riesigen Koffern voller Stimmzettel, Unterlagen, Flaggenschmuck und sonstiger Ausstattung, die für den Betrieb eines ordentlichen Wahllokals unerlässlich ist, stand ich im Materialkeller des Rathauses Kreuzberg und fragte mich, wie ich die schweren Koffer mit der U-Bahn nach Hause schaffen sollte...
Der Wahltag selbst begann mit dem Aufbau des Wahllokals in der Zille-Schule. Draußen zogen bei nieseligem Wetter heimkehrende Party-People vorbei, drinnen beschäftigten wir uns mit der Frage, in welche Richtung der Berliner Bär auf der Flagge schauen muss. Die Wahlhandlung begann, erste Wahlwillige betraten schon kurz nach acht Uhr den Hortraum mit den drei Kabinen. Die Flaggen hatten vor dem Spielzeugregal ihren würdigen Platz gefunden. Der Berliner Bär blickte vorschriftsmäßig nach links auf die Deutschland- und die Europafahne und registrierte zufrieden, dass der schwarze Balken der Nationalfahne ebenfalls links seinen Platz gefunden hatte.
Plötzlich störte lauter Techno-Sound diese Eintracht. Draußen hatten sich einige bunt staffierte Party-People eingefunden. Mit Konfetti in den Haaren und Bierflaschen in der Hand, so scharten sie sich um ein Lastenfahrrad, auf das Boxen montiert waren. Der Wahlvorstand nahm das achselzuckend zur Kenntnis: "is halt Friedrichshain", meinte meine stellvertretende Vorsteherin, eine Juristin. Zwei Minuten später war plötzlich Ruhe. Wir schauten besorgt aus dem Fenster. Draußen hatte sich ein nicht ganz so gut gelaunter Party-Heimkehrer der fröhlichen Gruppe genähert. Es war aus irgendeinem Grund zum Konflikt gekommen. Ich sah Fäuste fliegen, die zunächst einen der Fahrrad-Schieber trafen und dann eine junge Frau aus der fröhlichen Gruppe. Der Mieslaunige pöbelte noch etwas herum, die Anderen gingen auf Habachtstellung, ein Polizeiauto rollte heran. Zwei Beamte schauten aus dem Fenster, fuhren aber weiter. Die eben noch geohrfeigte Frau sagte, dass alles in Ordnung sei.
Etwas später steht ein Mann im Wahllokal. Ihm fällt es schwer, seinen Ausweis aus der Tasche zu fingern. Zweimal sagt er: "Wissen Sie, ich bin etwas...", eine Handbewegung deutet an, dass Alkohol im Spiel ist. Der Mann ist aber eigentlich nur motorisch etwas gehandicapt und ansonsten sehr bemüht, die Wahlhandlung ordnungsgemäß hinter sich zu bringen. Vermutlich hat er sich dafür den nüchternsten Moment des Tages extra ausgesucht. Alkohol ist grausam.
Die große Mehrzahl der Wählenden ist zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt; viele haben Kinder oder zumindest Hunde. Im dunklen Flur der Schule herrscht bald eine Atmosphäre wie vor einem angesagten Club. Die Wartezeit beträgt ab etwa 12:00 Uhr mittags mindestens 10-15 Minuten und die Schlange reicht bis auf die Straße. Abgeranzte Friedrichshainis, gestylte Kids, trashige Twens, ein Fernsehstar aus der Lindenstraße, einige wenige alte Menschen - das ist das Publikum, das hier wählt.
Omas fragen immer wieder aus der Kabine heraus, wo sie denn den "Wowi" wählen können. Der Wahlvorstand erklärt ein ums andere Mal, was es mit dem Wahlgeheimnis auf sich hat...
Am Ende des Tages verlässt der letzte Wähler das Lokal gegen 18:15 Uhr. Die Zählerei beginnt. Von über 1000 abgegebenen Stimmen entfallen kaum 60 auf die CDU. Bergpartei, Überpartei und Piraten hätten in diesem bunten Wahlbezirk gute Chancen, eine Kaolition zustande zu bringen.
Bei der Zählerei fehlen uns leider am Ende einige Stimmabgabevermerke im Wählerverzeichnis. Wir zählen noch einmal, bekommen - kurz bevor uns der genervte Hausmeister aus der Schule schmeissen will - ein korrektes Ergebnis und ein weiterer Tag in der Geschichte der Demokratie geht einigermaßen ruhmreich zu Ende.