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Montag, November 02, 2015

Eigentümerversammlung

Die einstige Mieterstadt Berlin ist heute zunehmend Eigentümerstadt. Was viele solvente Käuferinnen und Käufer nicht wissen: Eigentum verpflichtet - zum Beispiel zur Teilnahme an sogenannten Eigentümerversammlungen.
Solche Veranstaltungen gehören oft zu den gesellschaflichen Highlights in einer Hausgemeinschaft. Deshalb nehme ich gern jede Gelegenheit zur Teilnahme wahr - manchmal sogar in Westberlin...

Vor kurzem wohnte ich einer Versammlung bei, die in der Kellergaststätte eines wilhelmischen Rathauses im Westteil stattfand. Die Räumlichkeiten wirkten leicht verstaubt, der Veranstaltungssaal war über lange verwinkelte Gänge erreichbar und hatte seinen 50er-Jahre Plüsch-Charme offenbar über viele Jahrzehnte unverfälscht erhalten. Ein Ober kommandierte die Gäste herum und war nicht bereit, die Tische so umzustellen, dass alle Anwesenden gemeinsam daran Platz finden konnten. Also teilte sich die Gesellschaft auf zwei Tische auf, wobei sich schnell herausstellte, dass der Kleinere ein Hort renitenter Nervensägen war...
Die Anwesenden - fast alle deutlich jenseits der Vierzig - waren gut miteinander vertraut. Mir schien es nach vielen Jahren der Beobachtung so, als ob der eine oder andere in letzter Zeit aber doch deutlich gealtert oder grauer oder dicker geworden war. Auch in den Gewohnheiten bemerkte ich Veränderungen. Der Elektromeister mit dem Laden aus dem Vorderhaus, der seit jeher seine zwei bis drei Bier während der Versammlungen wegzischte - einmal hatte ein Kellner ihm versehentlich ein Radler serviert, da schüttelte er sich nahezu vor Ekel - er bestellte sich heute eine Saftschorle.
Leicht verspätet traf auch der heimliche Anführer oder Patron der Hausgemeinschaft ein, ein älterer Herr, auch er deutlich klappriger als im Vorjahr, der das Haus einst erworben und in Einzeleigentum aufgeteilt hatte.
Der Hausverwalter führte die Sitzung, wobei ihm der Beirat gelegentlich sekundierte. Der Beirat bestand in diesem Fall aus zwei Personen: Einem Goldkettchentypen mit Dauerwelle und einer Doppelnamenträgerin mit roten Haaren.
Die Rechnungsprüfung, die Betriebskostenabrechnung und der Haushaltplan waren ihre Domänen. Über letzteren wurde länglich diskutiert, bis endlich eine Zustimmung zum vorliegenden Papier erkennbar wurde. Da meldete sich der Patron zu Wort und fragte ketzerisch, ob man nicht noch einmal über die Höhe der Rücklage sprechen wolle. Es dauerte quälende 20 Sekunden, bis auch der letzte begriffen hatte: Dies war ein kleiner Scherz des alten Mannes, der sich auf diese Weise wohl über manchen Korinthenkacker in der Runde lustig machen wollte.
Die Tagesordnung gab in der Folge über weite Strecken nichts spannendes her. Dennoch hakte ein besonders pedantischer Mitbewohner immer wieder ein, besonders die Nachkommastellen untergeordneter Betriebskostenarten hatten es ihm angetan. Ein Grieche hingegen insistierte beim Verwalter, er wolle für das Finanzamt eine Bescheinigung für die haushaltsnahen Handwerkerleistungen. Der Verwalter wies darauf hin, dass er diese für seine vermietete Wohnung nicht geltend machen könne. "Doch", erwiderte der Grieche. "Nein", widersprach der Verwalter und setzte - nachdem es ein paarmal in dieser Weise hin und hergegangen war - hinzu: "Das wäre eine Steuerstraftat". Das saß dann. Man muss es diesen Griechen eben immer deutlich sagen, dass Bescheißen bei Steuern in Deutschland nicht geht...
Der Rest der Versammlung dämmerte so vor sich hin, bis die spannenderen Tagesordnungpunkte aufgerufen wurden: Außenstände beim Hausgeld und Neuaufteilung der Kellerverschläge. Nachdem es in den vergangenen Jahren immer nur - offenbar fruchtlose - Apelle gab, brav das Hausgeld zu bezahlen, nannte der Verwalter diesmal die Delinquenten beim Namen. Es stellte sich heraus, dass der kleine Nebentisch auch ein Hort von Zahlungsverweigerern war. Gleichwohl wurden Außenstände einerseits bestritten und andererseits im nahezu gleichen Atemzuge die Bezahlung "bis Ende Dezember" angekündigt.
Beim Top "Kellerverschläge" stellte sich heraus, dass einige Eigentümer keinen Keller haben, weil andere - wiederum maßgeblich am Nebentisch versammelt - sich mehrere Räume angeeignet hatten. Spätestens jetzt wurde der ohnehin enge Raum geteilt von einer moralischen Grenze, die streng zwischen den Tischen verlief.
Dann meldete sich noch einmal der Pedant zu Wort und wollte wissen, an welchen Schornsteinstrang er einen Kamin anschließen könne. Ein Feuer sei so schön gemütlich. Er wolle, dass der Verwalter entsprechende Schornsteine kennzeichne. Daraufhin stänkerte der Patron vom Nebentisch herüber: "Dann gehen´Se doch heute A´hmd mal mit´ner Taschenlampe in´ Keller und gucken selbst, welche Schornsteinzüge frei sind!"