Gestern fand auf der Frankfurter Allee eine besondere Art von Fahrraddiebstahl statt: Ein Polizeiauto hielt einen Radfahrer mit einem so genannten "Fixie" an, also einem Bahnrad ohne Gangschaltung, Bremsen Beleuchtung und all dem Gedöns, das die Straßenverkehrsordnung zwar fordert, das aber natürlich total uncool ist. Kurzerhand nahmen die Beamten dem Besitzer das Rad ab. Da sie ihre Neuerwerbung nicht ohne Hilfe wegtransportieren konnten, beorderten sie zwei weitere Beamte mit einem größeren Auto an den Tatort. Somit war zumindest einmal geklärt, wie viele Polizisten benötigt werden, um ein Fixie zu transportieren...
Der Aufwand scheint nicht übertrieben zu sein: Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 22. April, dass schätzungsweise 3000 Fixies in Berlin unterwegs sind. Bei einem Wert von etwa 1000 Euro pro Rad macht das einen Gesamtwert von drei Millionen Euro - eine interessante Größe für die klamme Stadtkasse.
Die Polizei hat ihre Haltung zu den Fixies in der jüngsten Zeit geändert und den "Raubzug" sogar angekündigt: In einer Pressemitteilung vom 30. März 2009 hieß es noch:
"[...] In der Konsequenz wird die Polizei die Nutzer solcher Fixies nicht nur zur Anzeige bringen, sondern gleichzeitig eindringlich darauf hinweisen, dass die Räder künftig bei wiederholter Feststellung sichergestellt werden."
Zwei Wochen später ist in einer weiteren Pressemitteilung vom Kriterium der "wiederholten Feststellung" keine Rede mehr:
"[...] Die Fahrer wurden eindringlich darauf hingewiesen, dass ihre Räder künftig zur Gefahrenabwehr sichergestellt werden."
Als Kosmopolit verfolge ich auch das Leben in anderen Teilen unserer Republik. Kein Verständnis habe ich für bornierte Hauptstädter, die die Provinz gering schätzen. Ich lese nicht nur die "Süddeutsche Zeitung", sondern auch den "Schwarzwälder Boten"! Letzterer brachte vor drei Tagen einen Artikel über einen Polizeifreiwilligen, bei dem sich mir - wie man so sagt - die Zehennägel aufrollten:
vielen Dank für diesen informativen Artikel über die wichtige Arbeit unserer freiwilligen Polizisten! Ich selbst bin auch schon einmal in einem Aufzug stecken geblieben. Was für ein Schrecken das doch war! Gern würde ich sachdienliche Hinweise zu so einem Fall machen, wenn es dem Polizisten Bossert hilft. Kein Verständnis kann ich dagegen haben, dass man sich offenbar andernorts über unsere ehrenamtlichen Helfer von der Polizei lustig macht, wie zum Beispiel hier: http://schwabengulag.twoday.net/stories/5655762/
Vor die Mülltonnen haben Menschen wieder jede Menge Sperrmüll gestellt: Ein alter Rentner-Porsche, eine Kaffeemaschine und - interessantestes Objekt: Ein altes Straßenschild mit der Aufschrift: "Leninallee". Nun ja, es blieb nicht lange liegen. Ein junger Mann nahm es an sich. Ein typischer Fall von: Good Bye Lenin!
Ab und zu klingelt das Telefon und es sind irgendwelche Umfragetypen dran, die uns ausfragen wollen. Meist sage ich dann, dass alle Mitglieder des Haushalts entweder bei Lidl, der Telekom oder der Deutschen Bahn arbeiten würden und man doch dort bitte nachfragen möge; unsere Arbeitgeber hätten alle Informationen über unsere persönlichen Lebensverhältnisse in übersichtlichen Dossiers gesammelt. Mitunter habe ich ob dieser kleinen Notlüge jedoch ein schlechtes Gewissen. Zu Ostern beispielsweise: Als Mitglied der Informationsgesellschaft freue ich mich dann nämlich über die fröhliche Auferstehung einiger der gesammelten Daten, die leider ohne mich erhoben werden mussten. So lese ich heute in der Zeitung das Ergebnis einer wichtigen IPSOS-Umfrage, den deutschen Flur betreffend. Wichtigstes Ergebnis: Die Deutschen bevorzugen einen schlichten Flur!
65 Prozent geben an, dass der Flur "einfach nur praktisch" sein muss. Als Ideal gilt ihnen eine Ausstattung, bestehend aus Garderobe, Schlüsselbrett und Schuhregal.
Auf unseren Haushalt bezogen entdecke ich in dieser Aussage allerdings einen krassen Widerspruch: Die Vokabeln "schlicht" und "Schuhregal" wollen einfach nicht zusammen passen. Ein Schuhregal, das alle unsere Schuhe aufnehmen wollte, müsste entweder nahezu Imelda-Marcos´sche Ausmaße oder die physikalischen Eigenschaften eines schwarzen Loches haben. Letztere sind ja bekanntlich dadurch gekennzeichet, dass sie bei erheblicher Masse räumlich doch recht begrenzt sind.
60 Prozent stimmen darüber hinaus der Aussage zu, dass der Flur eine "Visitenkarte" darstelle und "sauber und ordentlich" zu sein habe.
Befremdlich. In meinem Bekanntenkreis kenne ich kaum jemanden, der so etwas sagen würde. Möglicherweise wurden aber auch nicht so viele Haushalte in Friedrichshain befragt.
42 Prozent verstärken die vorige Aussage noch mit der Behauptung, sie würden "schon beim Heimkommen schlechte Laune bekommen, wenn hinter der Wohnungstür Unordnung herrsche".
Das ist zwar nicht besonders sympathisch, würde aber immerhin den hohen Anteil mies gelaunter Menschen in dieser Stadt erklären.
50 Prozent schmücken den Flur passend zur Jahreszeit.
Bitte? Was soll das denn? Habe ich bisher nur in Kindergärten gesehen. Also, es kommt natürlich schon vor, dass bei uns im Herbst mal ein paar Blätter an den Schuhen mit reingetragen werden (besonders, wenn vorher ein Hund raufgekackt hatte) oder im Winter Granulat. Aber als Schmuck haben wir das bisher nicht verstanden.
34 Prozent räumen noch einmal extra auf, wenn Besuch kommt.
Naja, da würde ich mich unter Umständen dazu zählen. Kommt aber ganz auf den Besuch an.
Ebenfalls 34 Prozent geben ehrlich zu, dass bei ihnen der Flur als eine Art "Zwischenlager für die verschiedensten Dinge der Familie" genutzt wird.
Das halte ich für die einzig vernünftige Einstellung. Schließlich zahlt man Miete für den Platz und demonstriert durch eine intensive Nutzung, dass man in Zeiten der Krise wirtschaftlich vernünftig handeln kann.
16 Prozent geben an, dass in ihrem Eingangsbereich das reine Chaos herrscht.
Wahrscheinlich kommen sie nicht zum Aufräumen, weil sie den ganzen Tag mit der Beantwortung von Telefonumfragen beschäftigt sind.
Komm mal ans Fenster, komm her zu mir! Siehst Du da drüben gleich hinterm Wellblechzaun: Sie haben uns eine Strandbar gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass es die Liebe versaut.
Gestern wurde auf der Brachfläche hinterm Haus von ein paar Leuten eine Strandbar gebaut. Doch was die Helden schon vorausgesagt haben, trat offenbar prompt ein: Die Liebe war versaut. Irgendwann hörte man Schreie; Zetern; Geschimpftes (immer wieder: "Fucking Idiot"). Eine Frau - unten völlig nackt - beschuldigte einen Typen der versuchten Vergewaltigung. Es war unklar, was vorgefallen war. Da andere Strandbar-Besucher/innen die ganze Zeit nahe am Geschehen waren, aber offenbar keinen Anlass zum Eingreifen gesehen hatten, drängte sich schnell der Eindruck einer Inszenierung auf. Der Strandbar-Betrieb schien nach dieser Szene jedoch sehr gedämpft und wurde dann bald eingestellt. Heute traf ich einen der Protagonisten vor dem Edeka. Er chillte dort. Sein Blick ging meistenteils ins Leere oder schien sagen zu wollen:
Wenn ich mal groß bin werd´ ich die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagier´n. Sie sollen nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmier´n.
In der Nacht zu heute wurden zum wiederholten Mal Brandanschläge auf Fahrzeuge in Friedrichshain verübt. Der Polizeibericht nennt drei Anschläge: in der Grünberger Straße, der Gryphiusstraße und in der Frankfurter Allee. Letzterer ereignete sich genau genommen in der Liebigstraße - unter unserem Fenster. Während der Polizeibericht leicht den Eindruck vermittelt, es seien "Luxusfahrzeuge" betroffen gewesen - von "BMW" und "VW" ist die Rede - sieht die Wirklichkeit, zumindest im Fall des "VW" doch anders aus: Ziel war ein behindertengerecht ausgestatteter Golf älterer Bauart, der auf einem ausgewiesenen Behindertenparkplatz stand. Zu einer Seite ist dieser Parkplatz durch einen gepollerten Korridor von anderen Fahrzeugen getrennt, so dass durchaus von einem gezielten Anschlag auf den Golf ausgegangen werden kann. Anders als bei früheren Anschlägen in der Liebigstraße, in denen oft die gut brennbaren Gelben Tonnen für den Verpackungsmüll mit einfachen Mitteln in Brand gesetzt wurden, haben dieses Mal mehrere Brandsätze die Kunststoffcontainer in Flammen aufgehen lassen. So wurde selbst ein Glascontainer zerstört. Die Polizei war gegen zwei Uhr sehr schnell mit einem großen Aufgebot zur Stelle und offenbar bestens vorbereitet: Mit zahlreichen Handfeuerlöschern konnte der Brand noch vor Eintreffen der Feuerwehr unter Kontrolle gebracht und in letzter Minute ein Übergreifen auf das Fahrzeug verhindert werden. Seit Eröffnung des rechten Thor-Steinar-Ladens in der nahen Petersburger Straße kommt es im Kiez häufiger zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Bisher wurden Brandanschläge auf Autos eher der linken Szene zugeschrieben. Neu ist, dass Einrichtungen von Menschen mit Handicaps Ziel eines Angriffs werden.