Unter Segeln
Seit einigen Tagen pfeift ein kalter Ostwind durch die Stadt. Er stellt eine erste Bewährungsprobe für die provisorischen Schutzdächer dar, die während des Penthaus-Baus weitere Wassereinbrüche in darunter liegende Wohungen verhinern sollen.
Während der vergangenen beiden Nächte war ein ständiges Flattern und Schlagen lockerer Folien zu hören. Es hörte sich an wie die Segel eines alten Schoners bei schwerer See. Heute, am Sonntagmorgen, waren denn auch einige Arbeiter auf dem Dach zu sehen, die mit dem Ausbessern von Schäden beschäftigt waren. Folienteile hatten sich gelöst und hingen in Fetzen an der Fassade. Lumpige Latten ragten schräg über die Dachkante. Wie diese Konstruktion den ersten Schnee überstehen soll, ist fraglich. Aber so baut man halt im Friedrichshain, trashig und unkonventionell.
Berliner Winter
Über Nacht ist es kalt geworden. Heute morgen kratze ich zum ersten Mal Reif von der Autoscheibe. Ein kalter Ostwind weht durch die Straßen. Unangenehm. Ein typischer grauer Berliner Winter kündigt sich an. Also entrümpele ich heute noch den Keller, damit die Balkonblumen einen geschützten Platz finden. Sie überwintern dort oder auf der Fensterbank im Treppenhaus. Insgeheim beneide ich sie: Kein Weihnachtsstress und keine Termine mehr bis März - das wäre es doch!
Schattenspiele
Seit kurz vor sieben steht ein lärmender Autokran vor dem Haus. Mit seiner Hilfe soll der Bauschutt herunter gehievt werden, der bei den Stemmarbeiten in den letzten Wochen angefallen ist.
Auch vom Dach her dröhnt herzzerreißender Krach durch das ganze Haus. Ich arbeite heute spät und habe daher das zweifelhafte Glück einer Teilhabe am Spektakel. Gegen Mittag sehe ich an der gegenüberliegenden Hauswand den Schatten der Arbeiter auf dem Dach.
Das Bild wirkt so ruhig. Doch der Lärm ist selbst bei uns im dritten Stock kaum auszuhalten. Die Nachbarin oben im Sechsten ist über neunzig Jahre alt und den ganzen Tag allein in der Wohnung, die direkt unter den Presslufthämmern liegt. Sie hat mir schon vor zwei Wochen gesagt, sie wünscht sich mittlerweile, einfach eines Morgens nicht mehr aufzuwachen. Ins Heim will sie nicht umziehen - wie einige andere ältere Nachbarinnen es während der Bauarbeiten getan haben. Und in ihrer Wohnung hält sie den Lärm und die Risse in der Decke nicht länger aus.
Den "Investor" stört es nicht. Er hat die Wohnung vor einiger Zeit an Franzosen verkauft, die weit weg sind und sich wegen des Lärms nicht beschweren.
Fliesen
Es wird auch heute munter gefliest. Vielleicht können wir im nächsten Frühling schon auf der Terasse frühstücken...
Wieder einmal arbeiten sie an den Terassen
Gerüchteweise war es in den letzten Tagen schon zu vernehmen: Die Homecenter will tatsächlich zum Ende des Jahres mit den Fassaden unserer Häuser fertig werden. Allerdings fehlen noch einige Teile: Nachdem die Geländer und Sockel der Terassen schon vor zweieinhalb Jahren sehr aufwendig und schön von Steinmetzen sanuiert worden waren, hatten die Arbeiten an diesem Bauabschnitt geruht. Die Böden fehlten. Seit heute wird dort jedoch tatsächlich wieder gearbeitet: Fünf Männer sind lautstark unter unserem Balkon beschäftigt. Vielleicht schaffen sie die Fertigstellung rechtzeitig - auch wenn die verlegten Platten zum Teil lausig aussehen...
"Abendschau"-Bericht: "Mieter wehren sich gegen Spekulation"
In den letzten Tagen fanden Dreharbeiten in der Frankfurter Allee
statt. Heute lief nun ein Beitrag des Journalisten Georg Berger in der
RBB-"
Abendschau". Da der Beitrag irgendwann nicht mehr in der Mediathek zu sehen sein wird, hier eine Beschreibung:
0:00-0:28: Anmoderation des Studiosprechers
0:28-0:44: Kommentator:
"Bei
Gudrun Prengel stapeln sich die Bücher in der Diele. Chaotische
Zustände - und das schon seit Jahren. Denn das Wohnzimmer ist nicht mehr
bewohnbar. Der größte Raum in der Wohnung: Eine Abstellkammer, weil
zwei Außenwände Wasserschäden haben."
Man sieht Gudrun Prengel in
ihrer Wohnung mit sehr vielen Büchern. Sie geht von der Diele in das
Wohnzimmer, in dem immer noch sehr viele Bücher und abgedeckte Möbel
stehen. Eine Wand ist frei geräumt. Die Tapete ist nicht mehr
vorhanden.Die ganze Wand ist feucht, voller Wasserflecken und vermutlich
auch Schimmel.
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Gudrun Prengel vor ihrer schäbigen Wand |
0:44-1:06: Gudrun Prengel berichtet vor der ekligen Wand stehend:
"2010
hatten wir einen größeren Wassereinbruch mit nachfolgendem Schimmel -
mit nachfolgender starker Schimmelbildung. Das hat praktisch die ganze
Wand befallen. Seitdem nutzen wir das Zimmer nicht mehr. Wir haben den
Eigentümer über die Verwaltung ständig über den Fortschritt der Schäden
benachrichtigt. Es ist nichts erfolgt bisher."
1:07-1:15: Kommentator:
"Es
ist nicht der einzige Schaden in der Wohnung. Auch ihre Toilette ist
nicht mehr fest verankert. Der Vermieter hat sie nur notdürftig
repariert, was nicht lange hält"
- Man sieht, wie Gudrun Prengel
eine sehr marode Toilettenschüssel locker einige Zentimeter anheben
kann. Darunter kommt sehr dreckiger Fußboden und eine keimige Manschette
zum Vorschein.
1:16: Zur optischen Erholung wird für
die (vielleicht gerade zu Abend essenden) Zuschauer/innen eine Totale
des Frankfurter Tors mit den beiden Türmen vor strahlend blauem
Herbsthimmel gezeigt. Kommentator:
"Gudrun Prengel wohnt nahe dem
Frankfurter Tor in den einstigen sozialistischen Vorzeigehäusern, den
letzten, die noch nicht vollständig saniert sind. Hier sind manche
Balkone gesperrt. Selbst 25 Jahre nach der Wende sind sie noch nicht
sicher."
1:26: Kamerafahrt über eine Fassade mit teils
sanierten, teils noch vollkommen baufälligen Balkonen. Kommentator: 2Die
Häuser haben mehrfach den Besitzer gewechselt. Der aktuelle Eigentümer
hat zwar mit der Sanierung begonnen, setzt die Mieter aber seit Jahren
unter Druck, weil er die Wohnungen offenbar verkaufen will.
1:41:
Peter Fischer-Piel vom Mieterrat steht draußen auf dem breiten Gehweg
vor der Fassade, an der gerade ein Baugerüst abgebaut wird
"Seit
2007 wohne ich jetzt hier in der Frankfurter Allee 11. Und das ist alles
so weit gut gegangen, bis eben die Entmietungspolitik anfing seitens
des Eigentümers. Und da wurde uns Mietern also mit Abmahnungen,
teilweise mit Drohungen oder aber auch mit realen Kündigungen, wie ich
zum Beispiel erfahren habe, doch massiv gedroht.
Schnitt:
Man sieht wieder Gudrun Prengel in ihrer engen Wohnung vor einem vollen
Bücherregal und hinter einem Bett stehend, auf dem einige Papiere
liegen:
"Drei Familien haben Abmahnungen bekommen: Sie sollten
ihre Untermieter oder illegal bei ihnen Wohnenden rausschmeißen. In
meinem Fall war das mein Mann - nicht verheiratet" - sie spricht im Off,
aber ihre Stimme geht deutlich triumphierend hoch: - "Wir leben seit -
äh wir streiten uns seit 42 Jahren..."
1:42: Nach
dieser hoffnungsvollen Aussage von Gudrun Prengel: Schnitt, Totale der
Häuser von der anderen Straßenseite aus, Kameraschwenk auf die im Bau
befindlichen Penthäuser. Kommentator:
"Außerdem baut der
Eigentümer Penthäuser auf die Dächer. Alles genehmigt, obwohl der Senat
die Häuser sogar einmal zum Weltkulturerbe erklären lassen wollte. Als
die Arbeiter oben Teile des Daches abstemmen, fällt den Mietern in den
Wohnungen darunter fast die Decke auf den Kopf."
2:30-2:47:
Man sieht lose Heizungsrohre, die aus einer Decke ragen und eine
Küchenarbeitsplatte darunter, die von feinem Staub und gröberen
Putzstücken überzogen ist. Kommentator:
"Alles bröselt. Das Dach wird undicht. Bei Regenwetter führt dies zu massiven Wassereinbrüchen."
Zu
sehen ist ein neues Ledersofa, dreckig und voller Staub. Dann Schnitt:
Ein verwackeltes, leicht grobkörniges Video (2:38), das einen aus einer
abgehängten Decke austretenden Sturzbach zeigt. Kommentator: "Hier das
Handy-Video eines Betroffenen. Vom Bezirksamt fühlen sich die
Hausbewohner im Stich gelassen. Der Baustadtrat versucht nun,
einzulenken."
2:48: Interview mit Hans Panhoff
(Bü90/Grüne), Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg - draußen auf dem
Gehweg vor den Häusern; Er trägt eine dunkle Jacke und hält eine
knallgelbe Aktenhülle wie schützend vor seinen Körper: "Die Bauaufsicht
hat sich die Schäden auch angeguckt, ähm und ähm, da gibt es eben
Zusicherungen, dass diese Wasserschäden beseitigt werden, wenn dieses
Dach fertig ist. Das liegt uns schriftlich vor."
3:02-3:28:
Schnitt. Es ist die Fassade zu sehen. Kommentator: "Viele der Wohnungen
sind bereits in Eigentumswohnungen umgewandelt. Um die mögliche
Verdrängung der Mieter zu bremsen, sind die Häuser in der Frankfurter
Allee in ein Milieuschutzprogramm aufgenommen worden. Der Investor will
sich übrigens vor der Kamera nicht äußern. Gudrun Prengels Wohnung ist
jetzt an eine französische Firma verkauft worden. Die hat zumindest
baldige Hilfe angekündigt.Vielleicht kann sie dann ihr Zimmer schon bald
wieder bewohnen."