Eigentümerversammlung
Die einstige Mieterstadt Berlin ist heute zunehmend Eigentümerstadt. Was viele solvente Käuferinnen und Käufer nicht wissen: Eigentum verpflichtet - zum Beispiel zur Teilnahme an sogenannten Eigentümerversammlungen.
Solche Veranstaltungen gehören oft zu den gesellschaflichen Highlights in einer Hausgemeinschaft. Deshalb nehme ich gern jede Gelegenheit zur Teilnahme wahr - manchmal sogar in Westberlin...
Vor kurzem wohnte ich einer Versammlung bei, die in der Kellergaststätte eines wilhelmischen Rathauses im Westteil stattfand. Die Räumlichkeiten wirkten leicht verstaubt, der Veranstaltungssaal war über lange verwinkelte Gänge erreichbar und hatte seinen 50er-Jahre Plüsch-Charme offenbar über viele Jahrzehnte unverfälscht erhalten. Ein Ober kommandierte die Gäste herum und war nicht bereit, die Tische so umzustellen, dass alle Anwesenden gemeinsam daran Platz finden konnten. Also teilte sich die Gesellschaft auf zwei Tische auf, wobei sich schnell herausstellte, dass der Kleinere ein Hort renitenter Nervensägen war...
Die Anwesenden - fast alle deutlich jenseits der Vierzig - waren gut miteinander vertraut. Mir schien es nach vielen Jahren der Beobachtung so, als ob der eine oder andere in letzter Zeit aber doch deutlich gealtert oder grauer oder dicker geworden war. Auch in den Gewohnheiten bemerkte ich Veränderungen. Der Elektromeister mit dem Laden aus dem Vorderhaus, der seit jeher seine zwei bis drei Bier während der Versammlungen wegzischte - einmal hatte ein Kellner ihm versehentlich ein Radler serviert, da schüttelte er sich nahezu vor Ekel - er bestellte sich heute eine Saftschorle.
Leicht verspätet traf auch der heimliche Anführer oder Patron der Hausgemeinschaft ein, ein älterer Herr, auch er deutlich klappriger als im Vorjahr, der das Haus einst erworben und in Einzeleigentum aufgeteilt hatte.
Der Hausverwalter führte die Sitzung, wobei ihm der Beirat gelegentlich sekundierte. Der Beirat bestand in diesem Fall aus zwei Personen: Einem Goldkettchentypen mit Dauerwelle und einer Doppelnamenträgerin mit roten Haaren.
Die Rechnungsprüfung, die Betriebskostenabrechnung und der Haushaltplan waren ihre Domänen. Über letzteren wurde länglich diskutiert, bis endlich eine Zustimmung zum vorliegenden Papier erkennbar wurde. Da meldete sich der Patron zu Wort und fragte ketzerisch, ob man nicht noch einmal über die Höhe der Rücklage sprechen wolle. Es dauerte quälende 20 Sekunden, bis auch der letzte begriffen hatte: Dies war ein kleiner Scherz des alten Mannes, der sich auf diese Weise wohl über manchen Korinthenkacker in der Runde lustig machen wollte.
Die Tagesordnung gab in der Folge über weite Strecken nichts spannendes her. Dennoch hakte ein besonders pedantischer Mitbewohner immer wieder ein, besonders die Nachkommastellen untergeordneter Betriebskostenarten hatten es ihm angetan. Ein Grieche hingegen insistierte beim Verwalter, er wolle für das Finanzamt eine Bescheinigung für die haushaltsnahen Handwerkerleistungen. Der Verwalter wies darauf hin, dass er diese für seine vermietete Wohnung nicht geltend machen könne. "Doch", erwiderte der Grieche. "Nein", widersprach der Verwalter und setzte - nachdem es ein paarmal in dieser Weise hin und hergegangen war - hinzu: "Das wäre eine Steuerstraftat". Das saß dann. Man muss es diesen Griechen eben immer deutlich sagen, dass Bescheißen bei Steuern in Deutschland nicht geht...
Der Rest der Versammlung dämmerte so vor sich hin, bis die spannenderen Tagesordnungpunkte aufgerufen wurden: Außenstände beim Hausgeld und Neuaufteilung der Kellerverschläge. Nachdem es in den vergangenen Jahren immer nur - offenbar fruchtlose - Apelle gab, brav das Hausgeld zu bezahlen, nannte der Verwalter diesmal die Delinquenten beim Namen. Es stellte sich heraus, dass der kleine Nebentisch auch ein Hort von Zahlungsverweigerern war. Gleichwohl wurden Außenstände einerseits bestritten und andererseits im nahezu gleichen Atemzuge die Bezahlung "bis Ende Dezember" angekündigt.
Beim Top "Kellerverschläge" stellte sich heraus, dass einige Eigentümer keinen Keller haben, weil andere - wiederum maßgeblich am Nebentisch versammelt - sich mehrere Räume angeeignet hatten. Spätestens jetzt wurde der ohnehin enge Raum geteilt von einer moralischen Grenze, die streng zwischen den Tischen verlief.
Dann meldete sich noch einmal der Pedant zu Wort und wollte wissen, an welchen Schornsteinstrang er einen Kamin anschließen könne. Ein Feuer sei so schön gemütlich. Er wolle, dass der Verwalter entsprechende Schornsteine kennzeichne. Daraufhin stänkerte der Patron vom Nebentisch herüber: "Dann gehen´Se doch heute A´hmd mal mit´ner Taschenlampe in´ Keller und gucken selbst, welche Schornsteinzüge frei sind!"
Die Allee verändert ihr Gesicht
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Große Wandflächen, wenige Fenster: Auch aus der Nähe wirken die neuen Aufbauten abweisend und schrabbelig |
Eigentlich hätten sie schon vor zwei Jahren fertig sein sollen, die neuen Penthäuser auf den historischen "Zuckerbäckerbauten" des Block G-Nord der ehemaligen Stalinallee. Die Bauarbeiten an den Häusern zwischen Frankfurter Tor und Proskauer Straße dauern mittlerweile doppelt so lange wie ursprünglich angekündigt. Doch langsam nähern sich die Penthäuser einem Zustand, der immerhin an den Beginn des Innenausbaus denken lässt.
Von der Straße aus wirken die Aufbauten wie Fremdkörper: dunkel, abweisend und grau. Zeit also, sich die Aufbauten einmal aus der Nähe anzuschauen. Wie es überhaupt möglich war, dass auf denkmalgeschützte Häuser Aufbauten gesetzt werden dürfen, erklärte mir ein Mann vom Denkmalamt im Frühjahr folgendermaßen: "Wenn der Investor sagt, dass er eine Sanierung der Fassaden nur dann finanzieren kann, wenn durch den Verkauf neuer Aufbauten Geld hereinkommt, dann genehmigen wir das." Als ich ihn etwas ungläubig ansah, weil die Fassadensanierung ja angeblich bereits in den Kaufpreis der Bestandswohnungen eingerechnet war, schob er nach: "Und wenn sich dann hnterher herausstellen sollte, dass der Investor doch genügend Gewinn gemacht hat, ohne dass die Penthäuser nötig gewesen wären, dann überprüfen wir das nicht mehr. Bescheid ist Bescheid."
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Die Innenräume sind teilweise schlauchartig geschnitten. Säulen stehen mitten im Zimmer. |
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Wenig großzügig sind auch die "Terassen": Schmale Gebilde, die durch die triste graue Fassadenverkleidung nicht gerade aufgewertet werden. |
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Die Verbindung von altem Bestand und neuer Architektur ist nicht gerade gelungen: Hier die - wenn auch maroden, aber immerhin in der Sonne leuchtenden - Kacheln, dort die trostlosen Fertigbauplatten, die den Charme einer ungarischen Grenzkontrollbaracke versprühen (kleiner Seitenhieb auf den Investor, der auch in Ungarn Projekte "entwickelt" hat). |
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Die solventen Käufer der Penthauswohnung blicken nicht nur auf die Dächer der Stadt, sondern auch auf marode Lüftungsanlagen und Abluftschächte aus den Küchen und Bädern ihrer Nachbarn. |
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Einstmals bildeten stolze Fahnenmasten die Krone der Häuser. Diese wurden vom Investor zersägt, weil sie den Penthäuern im Wege waren. Nur die Halterungen sind geblieben. Sie ragen in die neu geschaffenen Wohnungen hinein. |
Denkmalschutz
Das im Grunde Sympathische am Friedrichshain - und wenn ichgroßzügig sein will, lasse ich es insgesamt für Berlin gelten - ist doch, dass alle irgendwie ihrs machen können. Mögen die neuen Nachbarn nebenan es schick finden, in vollverglaster Investorenarchitektur zu wohnen. Ich muss deshalb die tragenden Wände um mich herum nicht wegreissen, sondern kann in meiner denkmalgeschützten Wohnung in der Deckung bleiben.
Wenn ich allerdings doch einmal eine Veränderung wünsche, muss ich die amtlichen Denkmalschützer um Erlaubnis fragen. Heute war so eine Begehung. Zuerst ging es um ein Fenster. Ein Fenster, das demnächst Tür werden soll - ein neuer Eingang für ein Gewerbe. Zum Ortstermin erschien ein Denkmalschützer, der in dem Fenster, das ich als Laie vielleicht mit dem Unfachwort "schrabbelig" bezeichnet hätte, sofort ein besonders schützenswertes bauzeitliches Objekt erkannte. Je länger er das Kleinod betrachtete, um so größer wurde seine Verzückung. Aufgeregt sprang er herum und wurde von mehreren auf dem Gehweg daherrasenden Radlern fast umgefegt. Was denn nun mit dem Fenster sei, fragte einer der Anwesenden - mit anderen Worten: Ob es denn nun weg könne. "Ja ich muss mir doch erst einmal ein Bild machen, muss verstehen, was hier los ist!", antwortete der Fachmann. Je länger ich das Fenster betrachtete, desto schäbiger erschienen mir die verschiedenen Lackschichten und ich dachte: "Schäbige Fenster gibt es doch entlang der Allee hunderte. Was ist an diesem Besonders?" Doch dann hatte der Fachmann sein l gefällt und ich wurde eines Besseren belehrt. Die Verwendung von Aluminium in der Architektur, ein Material, das bis
dahin nur der Rüstung und dem Flugzeugbau vorbehalten gewesen war, sei
in den Fünfziger Jahren Ausdruck der bauzeitlichen Konkurrenz der Systeme zwischen der DDR und dem Westen; Die Aufteilung in drei Felder, bei denen das Mittlere das größte ist, sei stilprägend für die Sechziger Jahre gewesen. Möglicherweise fehlte aber auch einfach nur das passende Material, um die seitlichen Kippfenster ähnlich groß zu gestalten. Mir war, als hätte jemand die Dreifaltigkeit zum ersten Mal verständlich erklärt.
Gleichzeitig erinnerte ich mich an die letzte Begehung vor einem halben Jahr mit demselben Denkmalschützer. Damals ging es um neue Fenster, die der Investor Homecenter eingebaut hatte und die dem Original nicht entsprachen. Kommentar des Amtes dazu war: "Die Touristen, die im Bus die Allee entlang fahren, bemerken diesen Unterschied garantiert nicht. Die neuen Fenster können bleiben".
Ich wurde jäh aus meinen Gedanken gerissen, denn die Besichtigungsgruppe näherte sich dem nächsten Objekt der Betrachtung, ein Treppenhaus in der Proskauer Straße, von dem der Eingang zu einem Hotel abzweigt. Kaum waren die letzten Stufen bewältigt, echauffierte sich schon der Denkmalamtmann: "Die Leute hier scheren sich doch wohl einen Dreck um den Denkmalschutz! Wie das hier aussieht." An dieser Stelle konnte ich nicht anders. Ich erinnerte ihn an den letzten Besuch. Damals standen wir ebenfalls vor der jetzt inkriminierten Hoteleingangstür. Damals stand vor dieser Tür sogar noch ein Sofa mit Plastepalme. Damals fand der Mann vom Amt hier alles in Ordnung. Jetzt tobte er fast: "Diese Tür muss weg!"
Ich erinnerte mich an Erzählungen alter Nachbarinnen, die noch die Polizeidienststelle im Haus kannten und wandte ein, dass hier vermutlich nie vorher Wohnraum war. Ein anwesender Bauingenieur pflichtete bei und verwies auf einen alten Verteilerkasten, der die Wand, in der die Tür steckte, als Originalbestand auswies. "Sie haben recht", rief nun der Mann vom Denkmalschutz aus, "beinahe hätte ich es übersehen: Die Tür ist Original! Sie muss unbedingt erhalten werden. Das ist eine Polizeitür." So schnell kann sich ein Blatt wenden.
Nächster Tagesordnungspunkt der Besichtigung war eine Durchfahrt, durch die die neuen Nachbarn nebenan nahezu ihre gesamten Häuser samt Inneneinrichtung und Gartenbegrünung angeliefert haben, und die durch die zahllosen LKW-Transporte mittlerweile schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Wie zur Bestätigung versuchte just zu diesem Zeitpunkt ein LKW-Lenker mit seinem Umzugswagen unter der schmalen Durchfahrt sein Glück. Der Beifahrer sprang heraus und lotste. Der Denkmalschützer sprang im letzten Moment zur Seite. Ich fragte den Lenker durch die geöffnete Seitenscheibe: "Wie hoch ist Deine Karre?" "Drei Meter sechzich", war die Antwort. Das Schild wies eindeutig "3,30m" als Begrenzung aus. Der Denkmalschützer war überzeugt: "Hier bringen Sie am besten eine Stange an, und zwar am besten genau in Augenhöhe der LKW-Fahrer. Das kann ich sogar vollkommen ohne die Straßenbehörde entscheiden."
Da werden sich die fitnessorientierten neureichen neuen Nachbarn nebenan vielleicht doch wundern, wenn sie demnächst mit ihren Giftdieseln und dem Fahrrad auf dem Dach an der Stange hängen bleiben...
Biermeile
Zur Maiparade, die traditionsgemäß in der Karl-Marx-Allee, Höhe Proskauer Straße, begann und zum Palast der Republik führte, regnete es der Legende nach nie.Falls doch eimal REenwolken aufzgen, so wurden diese - das sagt ebenfalls die Legende - durch Einsprühen von Chemialien vor der Stadtgrenze zum abregnen gebracht. In den Neunzigern dann galt das eherne Gesetz, dass das Wetter zum Termin der Loveparde in Berlin immer gut war. Heute gilt: Zur Biermeile auf der Karl-Marx-Allee klettern die Temperaturen immer auf über 30 Grad.
Das hat im Friedrichshain zu der schönen Tradition des Biermeileguckens geführt. Denn bei der knalligen Hitze und in dem Gedränge sind die ersten Alkoholopfer meist schon um die Mittagszeit beliebte Foto- und Gaffmotive. Ich habe mich heute einmal gamz ohne böse Hintergedanken auf der Biermeile herumgetrieben und ein paar Eindrücke gesammelt.
Das Gedränge war auch dieses Jahr wieder gewaltig. In der Vergangenheit gab es immer mal wieder Berichte über Ausschreitungen und Polizeieinsätze. Auch heute sind viele Sirenen zu hören. Aber als ich über die Meile schlendere, ist alles ruhig. Und ähnlich wie die Love-Parade scheint es ein Fest zu sein, auf dem Alte und Junge, Dicke und Dünne, Trainierte und Schlackse gleichermaßen ihren Spaß haben.Naja, mit dem Unterschied, dass es auf der Loveparade mehr - und vor allem jüngere - Frauen gab.
Betrieb
Das Lärmprotokoll der vergangenen Woche verzeichnet folgende Aktivitäten:
30. und 31.07.: Auf dem Dach unseres Hauses wurde nach wochenlangem Stillstand die Baustelle wieder eröffnet. Am Freitag ist es extrem laut. weil Mauern weg gestemmt werden, um die Türdurchbrüche für die Penthäuser zu erweitern.
Am Haus Proskauer Straße 35 verkündet nun auch ein Plakat, dass hier Eigentumswohnungen im "trendigen Friedrichshain" entstehen. Aus dem Haus dringt der Lärm von Schleifmaschinen herüber.
05.08. Baggerlärm. Radladergetöse, Schleifmaschinen dröhnen den ganzen heissen Sommertag lang durch die Gegend.
06.08.: Die neuen Gartennazi-Nachbarn lassen zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen ihren Rasen mähen, obwohl sie doch eigentlich inmitten von "Wiesen" wohnen möchten.
07.08.: Das Neubau-Grundstück gegenüber will mehr Beton. Dieser wird in Form von Fertigteilen mit einem Radlader die Straße entlang gefahren. Auch auf unserem Dach werden neue Baustoffe benötigt. Ein Tieflader mit angebautem Kran entlädt sie.
Atlantis untergegangen
Zur Ferienzeit fällt es auf, dass die Reisebuchhandlung "Atlantis" in der Karl-Marx-Allee nach 25 Jahren geschlossen hat. Schade, dass dieser Laden, in dem es Landkarten und Reiseführer über viele Länder und Gegenden dieser Erde gab, nun zu ist.
"I´ll break that machine"
Heute morgen wird eine neue Baustelle im Haus direkt gegenüber eröffnet. Schon gegen halb sieben beginnt ein Bauarbeiter, auf den die von Georg Ringsgwandl zurück gehende Wortschöpfung "Gartennazi" passen möchte, damit, der dichten Hecke den Garaus zu machen, die über die Jahre die Gartenmauer überwuchert hatte.
Bald regt sich Widerstand aus dem Haus, das noch bewohnt ist. Geschrei ist zu hören: "Stop it, stop it", ruft ein Mann aus einem Fenster. Der Gartennazi lässt sich nicht beirren und startet wieder seine extrem laute Heckenschere. In einer Pause ruft der Mann wieder - diesmal mit deutlich heiserer, fast überschnappenden Stimme: "It´s seven a´clock in the morning. Stop it! I´ll break that machine!" Da hat wohl ein Zugezogener das Berliner Tempo noch nicht verinnerlicht...
Eine halb Stunde später: Die Hecke fällt. Die Mauer ist frei. Der Gartennazi macht Zigaretten- und Frühstückspause.
Weitere Lärmarten heute im Angebot: Es wird gebohrt, gebrüllt, Radlader fahren auf der Baustelle, Baufahrzeuge rangieren auf der Straße, ein Bauarbeiter rollert mit einem Hubwagen über das Pflaster.