Gated Community
Es ist der erste richtig warme Tag heute. Die Leute sind wie verrückt nach dem Frühling. In der Stadt belegen sie alle verfügbaren Bänke. Die neuerding wieder strömenden Touris drängeln sich in die S-Bahnen (ein Zug macht ausgerechnet heute vormittag am Alex schlapp und blockiert den Verkehr auf der Stadtbahn) und Straßencafés in Ost- wie in Westberlin.In Berlin - ehemals Hauptstadt der DDR - blüht hinter einer Mauer unterdessen ein neues kleines Glück auf: Mehr und mehr Bewohner/innen der "Wiese-Weite-Wohnen"-Siedlung beziehen ihre neuen Häuser. Auch heute stehen wieder Umzugswagen auf der Straße. Sie haben es schwer, bis an die Häuser vorzudringen. Denn das Grundstück ist durch einen Zaun abgeriegelt. Der Eingang ist für Umzugsleute schwer zu finden und der Zugang wird durch einen Wachmann kontrolliert. Nach den Angriffen der letzten Monate - mit Brandsätzen und Farbbeuteln - igeln sich die Besitzer ein. Es ist eine Ironie, dass die erste größere deutsche Gated Community im Biosphärenreservat in Potsdam nicht genügend solvente Interessenten/innen fand, während hier - mitten m wenig exclusiven Arbeiterbezirk Friedrichshain - vermutlich unfreiwillig eine solche abgeschlossene Siedlung entsteht. Nicht, weil deren meist der Mittelklasse zuzurechnenden Bewohner/innen sich das so gewünscht haben, sondern weil sie mittlerweile in einem Klima der Angst leben - der eigentlichen Triebkraft für das Entstehen von Gated Communities in Osteuropa, auf dem amerikanischen Kontinent oder in Südafrika.
Hier im Friedricshain ziehen vorwiegend junge Familien ein. Sie werden unterstützt von noch rüstigen Großeltern, die Bullis fahren können oder Ikea-Einkäufe über längere Distanzen schleppen - oder die einfach nur auf die Kinder aufpassen. Möglicherweise haben sie auch bei der Finanzierung der neuen Traumwohnung geholfen; jedenfalls stolzieren manche so aufrecht durch die noch nicht fertig gestellte Anlage, als seien sie hier die Hausherren.
Kurz vor dem unvermeidlichen ersten Berliner Sommerregen sehe ich zwei Mädchen, etwa 12 Jahre, auf ihren Rädern durch die Liebigstraße fahren. Sie haben offenbar gerade ihren neuen Kiez erkundet und wollen nun wieder heim. Auch sie suchen nach einem Eingang in die Siedlung. Bald werden sie sich vielleicht daran gewöhnt haben, dass sie hinter einer Mauer aufwachsen. Es wäre nicht die erste Berliner Generation. die diese Erfahrung normal findet.
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