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Samstag, Mai 18, 2013

Ernst 21

Auch am Sonnabend erwacht die Baustelle um 7:00 Uhr - und mit ihr natürlich alle Menschen in der Nachbarschaft. Egal - mich hält es ohnehin nicht im Bett. Denn schon seit gestern quält mich ein ungeheurer Verdacht: Sie werden die edlen Apartmenthäuser doch wohl nicht etwa falsch herum in den märkischen Sand setzen? Sollten die exclusiven Wohnungen, vielleicht bereits teuer mit dem Versprechen einer Südausrichtung verkauft, durch einen dummen Schusselfehler nun plötzlich nach Norden zeigen? Beim Vergleich der im Internet veröffentlichten Baupläne mit der gebauten Wirklichkeit fielen mir Unstimmigkeiten auf.
Vielleicht hätte ich mir doch ein Funkgerät besorgen sollen, wie vorgestern noch überlegt. Ich hätte den Kranfahrer warnen und das Schlimmste verhindern können. Ich überlege, ob meine Laissez-Faire-Einstellung nicht vielleicht als unterlassene Hilfeleistung, womöglich gar als klammheimliche Mittäterschaft gewertet werden könnte. Ich sehe eine Klagewelle auf die arme Baufirma zurollen; einen wütenden Staatsanwalt, der sich die Sache der angeschmierten Neu-Friedrichshainer beherzt zur Sache macht. Zahlreiche Nebenkläger, die kaum Platz finden in einem zu kleinen Gerichtssaal; Journalisten von "Stuttgarter Zeitung", "Schwarwälder Bote" und "Zollern-Alb-Kurier", die sich auf juristischen Nebenschauplätzen um die raren Plätze auf der berstend vollen Zuschauertribüne streiten; den Polier - gestern noch barbusig auf der Baustelle -, der zerknirscht und das Gesicht hinter einem riesigen Bauplan verbergend in den Verhandlungssaal einzieht, umgeben von seinen Anwälten Christian Ströbele und Otto Schily...
Ich höre schon die Litanei der besorgten Edel-Eltern, die vor Gericht argumentieren, die Investitionen in ihre Premium-Kinder - für 1000 Euro pro Monat in eine Privatschule eingeschult - seien gefährdet, weil diese nun ihr Dasein in einem Nord-Kinderzimmer fristen müssten...
Dann werde ich gegen 13:30 Uhr plötzlich aus den trüben Gedanken gerissen: Lärm auf der anderen Seite des Hauses. Laute Musik. Regen. Eine Demo zieht vorbei: "Frieden den Hütten - Krieg den Palästen", steht auf einem großen Transparent. Vielleicht ist das ja Teil eines einzigen großen Plans? Der Verfassungsschutz sollte sich einmal darum kümmern!
"Krieg den Palästen" - keine leere Drohung: In der Nachbarschaft wurde dieser edle - und fast fertig gestellte - Apartmentkomplex vor wenigen Tagen angezündet.