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Sonntag, August 04, 2013

Die Neuen kommen

In der "Süddeutschen Zeitung" vom Wochenende erschien ein schöner Artikel über die Auseinandersetzungen zwischen Alteingesessenen und Menschen, die in die zahlreichen Neubaukomplexe der Boom-Viertel Berlins einziehen. Darin heisst es:
"Wer in dieser Stadt lebt, bekommt mit, wie erbittert an allen Ecken um sie gekämpft wird. Einheimische gegen Touristen, Nicht-so-Reiche gegen vermeintlich Superreiche, Kinderlose gegen kaffeetrinkende Mütter, Ur-Berliner gegen Schwaben - all das lässt sich mit Alt gegen Neu zusammenfassen. Die Stadt, die sich sonst stets damit brüstet, wie stark sie in Bewegung ist, wehrt sich gegen Veränderung."
Irgendwie trifft dieser Absatz genau ins Schwarze:
  • Einheimische gegen Touristen: Der Massentourismus ist in Berlin eine relativ neue Erscheinung und eigentlich erst seit dem Sommer 2006 richtig auf Touren gekommen. Fast scheint es so, als ob die WM-Schlachtenbummler einfach vergessen hätten, wieder abzureisen. Einheimische wie Touristen kommen mit dem Phänomen noch nicht so recht klar. Die einen reagieren verwundert und kopfschüttelnd auf Spanier und Chinesen, die plötzlich überall in der Innenstadt die Gehwege versperren. Und die Anderen scheinen noch nicht so recht zu wissen, welche touristischen Angebote in dieser Stadt etwas taugen - und welche nicht; sie wissen noch nicht, welche Fotos ins Album gehören - und fotografieren deshalb überall wild darauf los; sie buchen geführte Fahrradtouren, obwohl sie kaum Fahrradfahren können oder wagen sich auf Segways, obwohl sie allein schon der Großstadtverkehr heillos überfordert.
  • Nicht-so-Reiche gegen vermeintlich Superreiche: Als "Nicht-so-reich" fühlt sich nahezu jeder alteingesessene Berliner, denn Löhne und Gehälter hinken in der Hauptstadt seit mindestens zwei Jahrzehnten deutlich hinter denen in anderen deutschen Großstädten hinterher. Als vermeintlich "superreich" werden daher viele Zugezogene beargwöhnt. In der klassischen Mieterstadt, in der bis in die Achtziger Jahre auch die gehobene Mittelschicht nahezu selbstverständlich zur Miete wohnte, werden Leute, die sich eine Eigentumswohnung leisten, ebenfalls schnell als "superreich" verkannt.
  • Kinderlose gegen kaffeetrinkende Mütter: Begriffe wie "Helikopter-Eltern", "Macchiato-Mütter", "Bestimmer-Blagen" oder "Edelkinder", Buchtitel wie "Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter" machen es deutlich: Es gibt ein allgemeines Problem mit der Kindererziehung. Das ist nicht auf Berlin beschränkt. Doch da es in bestimmten Innenstadtbezirken besonders viele junge Eltern gibt, tritt es hier besonders zutage.
  • Ur-Berliner gegen Schwaben: Das Thema ist hinreichend erörtert. Die Spätzle- und Currywurst-Attentate der letzten Zeit auf Berliner Denkmale haben es bereits vor dem Sommerloch bundesweit in die Medien geschafft; nach langen Diskussionen gibt es nun sogar einen Polizeipräsidenten aus Baden-Württemberg in der Stadt - das schürt das Misstrauen.
Nach der Lektüre des Artikels sitze ich nun also auf dem Balkon und beobachte die Straße. Gegenüber wird gerade eines der beschriebenen Neubauviertel hochgezogen. Der Investor wirbt für seine Eigentumswohnungen mit all den Attributen, die im Artikel benannt werden. Von Montag bis Sonnabend lärmen seit Monaten Bauarbeiter und Maschinen. Am Wochenende schauen dann gern die neuen Nachbarn vorbei, um zu sehen, wie ihr Heim entsteht. Linkisch tappen sie herum, dicker Bauch, dicke Fototasche, leicht schütteres Haar, jüngere Frau an der Seite und Sandalen an den Füßen - so sehen sie oft aus. Sie steigen auf wacklige Paletten für einen flüchtigen Blick über den Bauzaun und ein paar Fotos von der Baustelle. Er - stets voran - zeigt die Richtung an, sie - brav ein paar Schritte hinterher - staunt und bewundert. Doch wenn sie anschließend wieder wegfahren, tun sie das mit einem Kleinwagen, der ein Berliner Kennzeichen trägt. Dennoch verachtet der Friedrichshainer, der vielleicht Medienschaffender, Student, Handwerker oder Pfandflaschensammler ist, ein solches Auftreten, denn für ihn verkörpern die Neuen einen Menschentyp, der noch vor 15 Jahren leicht naserümpfend auf Leute aus dem Friedrichshain herunter geschaut hat; ein Menschentyp, der früher nach Steglitz, Köpenick oder Wilmersorf gezogen wäre, findet plötzlich den alten Schmuddel-Bezirk schick.Und das, obwohl gleich große Wohnungen in viel grünerer Umgebung - zum Beispiel in Spandau - für weniger Geld zu haben wären.
Im Grunde ist so ein Verhalten auch normal: Zugezogene haben es auch in Bayern oder in der Uckermark schwer, in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Meine Schwiegereltern aus dem Schwabenland - obwohl liberal, menschenfreundlich und weitgereist, bezeichnen den Nachbarn, der vor fast siebzig Jahren aus Schlesien zugewandert ist, heute immer noch als "Flüchtling".
Soziologen haben mittlerweile darauf hingewiesen, dass der oft bemühte Begriff "Gentrifizierung" für die Veränderungen in Prenzlauer Berg oder Mitte eigentlich zu scharf ist. Der Wandel sei dort vergleichsweise sanft verlaufen. Der eigentliche Gegensatz verläuft nicht entlang sozialer Grenzen. Es sind die Mentalitätsunterschiede, die trennen .Ein spannendes Experiment!