Suche in diesem Blog:
Google Custom Seearch

Donnerstag, Juni 05, 2014

Eigentümerversammlung

Blick von der Dachterasse unseres Hauses
Heute,Donnerstag, 17:15 Uhr: Im Konferenzsaal eines Treptower Hotels beginnt die Eigentümerversammlung unseres Hauses. Einige altbekannte Nachbarn sind anwesend, aber ich sehe auch viele mir neue Gesichter im Saal. Die meisten Wohnungen sind erst innerhalb der letzten zwei Jahre vom Generalunternehmer verkauft worden. Der hat seit kurzem keine Mehrheit mehr und so hat der Beirat beschlossen, eine außergewöhnliche Wohneigentümerversammlung (WEG-Versammlung) einzuberufen. Die Hoffnung des Beirats und der Hausverwaltung: Die Versammlung möge eine Erhöhung der Instandhaltungsrücklage beschließen, denn im Falle einer größeren Havarie stünde kaum Geld für dringende Reparaturen zur Verfügung. Neun Cent pro Quadratmeter beträgt die Rücklage heute. 80 Cent hält der Beirat für nötig – eine Erhöhung, die der Generalunternehmer bei der letzten Versammlung noch abgelehnt hatte. Ohne große Begründung – doch das Interesse ist klar: Wer seine Wohnungen verkauft, möchte nicht noch Geld in eine Rücklage stecken, die der Vorsorge dient.
Wer hingegen gerade eine Wohnung gekauft hat, möchte den Wert des Gebäudes erhalten und in der Zukunft vor unliebsamen Überraschungen sicher sein. Also brandet sofort eine heftige Diskussion auf. „Warum will die Homecenter die Rücklage nicht erhöhen,“ fragt – leicht naiv – eine Neubesitzerin, die den Kapitalismus noch nicht ganz verstanden hat. Die Fronten sind klar – nur die Mehrheiten anfangs noch unsicher. Es mischen sich Eigentümer mit polnischem, russischen, französischen oder fränkischen Akzent ein. Bei einigen wird schnell klar, dass sie vorher noch kein Wohneigentum besessen haben oder sich zumindest nicht mit dem deutschen WEG-Gesetz auskennen. Die Diskussion schweift ab, was in diesem Fall ganz gut ist. Denn dies gibt den Vertreterinnen der Verwaltung die Möglichkeit, die Zahl der vorab eingegangenen Ja-Stimmen zu ermitteln. Das Ergebnis sieht zunächst nicht gut aus für den Antrag des Beirats. Der Generalunternehmer scheint noch eine kleine Mehrheit zu haben, mit der er die Erhöhung ablehnen könnte. Die Einzeleigentümer spielen auf Zeit: Die Diskussion wird fortgesetzt in der Hoffnung, dass noch jemand verspätet zu der Versammlung stößt. Plötzlich wird die Tür geöffnet. Es kommt jemand hinein, auf den sich nun sofort die Blicke richten. Eine Vertreterin der Verwaltung geht zu der Person und lässt sich die Anwesenheitsliste abzeichnen. Kurze Instruktion, es wird nochmals erläutert, in welchem Tagesordnungspunkt man sich befindet, Verlesung des Antrags – dann Abstimmung. Die Spannung steigt, als die Ja-Stimmen ausgezählt werden. Dann Jubel und Applaus. Es gibt eine Mehrheit für den Antrag, wenn auch nur mit wenigen Stimmen.
Es folgen weitere Anträge, bei denen sich der Generalunternehmer durchsetzt, zum Beispiel als es darum geht, den Wirtschaftsplan zu beschließen oder eine Rücklage für eine rechtliche Beratung zu bilden. Der Beirat schätzt es als wahrscheinlich ein, dass mit dem Generalunternehmer demnächst ein Rechtsstreit zu führen ist, weil es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, ob die vertraglich vereinbarten Sanierungsleistungen vollständig und nach dem Stand der Technik durchgeführt wurden.
Die beiden Vertreter des Generalunternehmers haben einen schweren Stand in der Versammlung. Doch offenbar sind sie derartige Situationen gewohnt. Betont lässig schmettern sie alle Anwürfe ab: Mal, indem sie sich in technische Details flüchten, die bald niemand mehr versteht; Mal, indem sie Frontalangriffe scharf entgegnen („Auf diese polemische Frage antworte ich nicht.“); Mal auch, indem sie nicht bestreitbare Versäumnisse, die ihnen vorgeworfen werden, als „Mißverständnis“ bezeichnen, das ihnen leid tue. So plätschert die Veranstaltung zwischenzeitlich etwas seicht dahin, bis es zu einem abschließenden Showdown zwischen dem Beirat und dem Generalunternehmer kommt. Dennoch wird der Beirat anschließend – bei einer Enthaltung des Generalunternehmers – für ein weiteres Jahr wiedergewählt. Beifall. Letzter Tagesordnungspunkt ist die Information über den Stand der Sanierungsarbeiten. Hier gibt sich der Generalunternehmer zunächst überrascht darüber, dass er berichten soll: „Ich habe davon erst vor einem Tag erfahren“, lautet die wenig glaubhafte Ausrede. Dennoch gibt er anschließend einige Informationen preis. Als Eindruck bleibt, dass dieser Unternehmer nichts freiwillig tut und vermutlich sogar die vertraglich zugesicherten Leistungen gegen ihn eingeklagt werden müssen: Die versprochenen Parkplätze kommen nicht; die rückwärtige Fassade wird nun doch nicht gestrichen; nicht einmal die Löcher im Putz sollen ausgebessert werden. Und auch das Prunkstück des Hauses, die mit Kacheln verkleidete Fassade der Vorderseite bleibt vermutlich unvollendet: „Nur die Kacheln, die in den Anlagen der Kaufverträge farbig markiert sind, werden ersetzt“. In den Kaufverträgen sind allerdings nur die Flächen markiert, an denen Kacheln großflächig fehlten. Kleinere Lücken und lockere Kacheln wurden nicht erfasst. Hier werden sich die Käufer gegebenenfalls darauf berufen müssen, dass ihnen mündlich beim Kauf in Anwesenheit des Notars versichert wurde, dass die komplette Fassade instand gesetzt wird. Der Umgang mit dem denkmalgeschützten Ensemble ist beschämend – und Resultat einer Politik der Verhökerung des Erbes einer Stadt, die auch in der Vergangenheit schon sehr viel ihrer historischen Bausubstanz verloren hat.