Eigentümerversammlung
Blick von der Dachterasse unseres Hauses |
Wer hingegen gerade eine Wohnung
gekauft hat, möchte den Wert des Gebäudes erhalten und in der
Zukunft vor unliebsamen Überraschungen sicher sein. Also brandet
sofort eine heftige Diskussion auf. „Warum will die Homecenter die
Rücklage nicht erhöhen,“ fragt – leicht naiv – eine
Neubesitzerin, die den Kapitalismus noch nicht ganz verstanden hat.
Die Fronten sind klar – nur die Mehrheiten anfangs noch unsicher.
Es mischen sich Eigentümer mit polnischem, russischen, französischen
oder fränkischen Akzent ein. Bei einigen wird schnell klar, dass sie
vorher noch kein Wohneigentum besessen haben oder sich zumindest
nicht mit dem deutschen WEG-Gesetz auskennen. Die Diskussion schweift
ab, was in diesem Fall ganz gut ist. Denn dies gibt den
Vertreterinnen der Verwaltung die Möglichkeit, die Zahl der vorab
eingegangenen Ja-Stimmen zu ermitteln. Das Ergebnis sieht zunächst
nicht gut aus für den Antrag des Beirats. Der Generalunternehmer
scheint noch eine kleine Mehrheit zu haben, mit der er die Erhöhung
ablehnen könnte. Die Einzeleigentümer spielen auf Zeit: Die
Diskussion wird fortgesetzt in der Hoffnung, dass noch jemand
verspätet zu der Versammlung stößt. Plötzlich wird die Tür
geöffnet. Es kommt jemand hinein, auf den sich nun sofort die Blicke
richten. Eine Vertreterin der Verwaltung geht zu der Person und lässt
sich die Anwesenheitsliste abzeichnen. Kurze Instruktion, es wird
nochmals erläutert, in welchem Tagesordnungspunkt man sich befindet,
Verlesung des Antrags – dann Abstimmung. Die Spannung steigt, als
die Ja-Stimmen ausgezählt werden. Dann Jubel und Applaus. Es gibt
eine Mehrheit für den Antrag, wenn auch nur mit wenigen Stimmen.
Es folgen weitere Anträge, bei denen
sich der Generalunternehmer durchsetzt, zum Beispiel als es darum
geht, den Wirtschaftsplan zu beschließen oder eine Rücklage für
eine rechtliche Beratung zu bilden. Der Beirat schätzt es als
wahrscheinlich ein, dass mit dem Generalunternehmer demnächst ein
Rechtsstreit zu führen ist, weil es unterschiedliche Auffassungen
darüber gibt, ob die vertraglich vereinbarten Sanierungsleistungen
vollständig und nach dem Stand der Technik durchgeführt wurden.
Die beiden Vertreter des
Generalunternehmers haben einen schweren Stand in der Versammlung.
Doch offenbar sind sie derartige Situationen gewohnt. Betont lässig
schmettern sie alle Anwürfe ab: Mal, indem sie sich in technische
Details flüchten, die bald niemand mehr versteht; Mal, indem sie
Frontalangriffe scharf entgegnen („Auf diese polemische Frage
antworte ich nicht.“); Mal auch, indem sie nicht bestreitbare
Versäumnisse, die ihnen vorgeworfen werden, als „Mißverständnis“
bezeichnen, das ihnen leid tue. So plätschert die Veranstaltung
zwischenzeitlich etwas seicht dahin, bis es zu einem abschließenden
Showdown zwischen dem Beirat und dem Generalunternehmer kommt.
Dennoch wird der Beirat anschließend – bei einer Enthaltung des
Generalunternehmers – für ein weiteres Jahr wiedergewählt.
Beifall. Letzter Tagesordnungspunkt ist die Information über den
Stand der Sanierungsarbeiten. Hier gibt sich der Generalunternehmer
zunächst überrascht darüber, dass er berichten soll: „Ich habe
davon erst vor einem Tag erfahren“, lautet die wenig glaubhafte
Ausrede. Dennoch gibt er anschließend einige Informationen preis.
Als Eindruck bleibt, dass dieser Unternehmer nichts freiwillig tut
und vermutlich sogar die vertraglich zugesicherten Leistungen gegen
ihn eingeklagt werden müssen: Die versprochenen Parkplätze kommen
nicht; die rückwärtige Fassade wird nun doch nicht gestrichen;
nicht einmal die Löcher im Putz sollen ausgebessert werden. Und auch
das Prunkstück des Hauses, die mit Kacheln verkleidete Fassade der
Vorderseite bleibt vermutlich unvollendet: „Nur die Kacheln, die in
den Anlagen der Kaufverträge farbig markiert sind, werden ersetzt“.
In den Kaufverträgen sind allerdings nur die Flächen markiert, an
denen Kacheln großflächig fehlten. Kleinere Lücken und lockere
Kacheln wurden nicht erfasst. Hier werden sich die Käufer
gegebenenfalls darauf berufen müssen, dass ihnen mündlich beim Kauf
in Anwesenheit des Notars versichert wurde, dass die komplette
Fassade instand gesetzt wird. Der Umgang mit dem denkmalgeschützten
Ensemble ist beschämend – und Resultat einer Politik der
Verhökerung des Erbes einer Stadt, die auch in der Vergangenheit
schon sehr viel ihrer historischen Bausubstanz verloren hat.
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